Freitag, Mai 12, 2006

Menschen und ihre Musik

In München gibt es keine Straßenmusiker in den U-Bahnhöfen oder in der Bahn. Dafür passiert sowas wie gestern. Haltestelle Odeonsplatz, ich warte auf die U 4 Richtung Arabellapark. Ein Mann um die 30 schleicht unruhig den Bahnsteig rauf und runter. Irgendwann hält er inne, stellt seinen Ghettoblaster auf den Boden und drückt auf "play". Sofort verändert sich die Atmosphäre im Bahnhof - aus dem Gerät kommt südamerikanische Gitarrenmusik, ein bisschen melancholisch, ein bisschen lustig, sie passt zu den Frauen in kurzen Röcken und Sandalen, die in die U-Bahn steigen.
Aber natürlich ist es das Schauspiel eines Exzentrikers, dem wir da zuschauen, oder das wir zu ignorieren versuchen. Er starrt gebannt auf den "Sendung mit der Maus"-Comic auf der Infoscreen, er geht sogar auf die Knie, rutscht gefährlich nahe an den Bahnsteigrand, nur um sich die Maus und den blauen Elefanten ganz genau anzusehen, er gestikuliert, er murmelt, er lacht - und dann wechselt das Bild, eine Nachricht mit dem Foto von Angela Merkel wird eingeblendet und der Mann mit der Musik wird wütend. Er steht auf, er schimpft auf Frau Merkel "die hab ich noch nie leiden können", er packt seinen Ghettoblaster, die Musik verstummt und er steigt in die U-Bahn.
Eigentlich sind sie ganz besonders, diese Exzentriker, die uns an ihrer Musik teilhaben lassen wollen. Nicht so wie die Menschen mit den Ohrstöpseln, die ihren MP3-Player nur zu laut eingestellt haben. Irgendwas wollen sie teilen oder mitteilen, die Exzentriker. Was mir der Blockflötenspieler in der U2 vergangene Woche sagen wollte, weiß ich nicht. Er stieg am Scheidplatz ein, spielte bis zum Josephsplatz kümmerliche, verzerrte Versionen von "Zum Geburtstag viel Glück" und "Ein Prosit der Gemütlichkeit" und stieg wieder aus. Kein Obdachloser oder Zigeuner, wie ich zuerst dachte. Nein, ein ganz normaler mittelalter, mittelschöner Mann, der nach zwei Stationen die Flöte in der Tasche verschwinden ließ und verschwand.

2 Comments:

Blogger Nadja said...

Sinti und Roma muss es heißen, Entschuldigung für diese politische Unkorrektheit und besondere Erwähnung des Historikers, der natürlich sofort auf diesen Faux Pas gestoßen ist.

5:12 PM  
Anonymous Anonym said...

Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.

12:23 AM  

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