Mittwoch, August 09, 2006

Er gehört zu mir

Ich unterhalte mich ungern in der U-Bahn. Jetzt ist es raus. Liebe Leser, ich höre Euch gerne zu, wenn Ihr in der U 3 nach Fürstenried West über Jens Lehmann, Unterwäsche oder Börsenkurse redet. Aber ich selbst? Nein, ich will nicht reden. Ich will meine Ruhe, will aus dem Fenster oder auf meine Zeitung starren und bitte nicht sprechen. Es könnte ja jemand zuhören, der das dann in einem Blog verarbeitet. Nicht auszudenken, wahrscheinlich rede ich den gleichen Mist wie die Menschen, bei denen ich mithöre.
Mit dem Mann, der mit mir Wohnung, Kühlschrank, Fernseher und noch mehr teilt, unterhalte ich mich auch nicht gerne in der Bahn. Das liegt nicht an ihm, sondern an der Tatsache, dass ich 99 Prozent meiner U-Bahn-Fahrten alleine unternehme und es einfach nicht gewöhnt bin, dabei ein Gespräch zu führen. Den Mann stört das vielleicht ein bisschen, er schneidet dann lustige Grimassen, damit ich lache, sagt Sachen wie "Du würdest jetzt lieber lesen" oder "Wir müssen aussteigen", obwohl wir das nicht müssen, und stupst mich am Knie, weil ich so unkommunikativ bin.
Anderen geht das auch so, da bin ich mir sicher. Das Teenie-Pärchen vorgestern, so glaube ich, spricht auch außerhalb des Münchner Untergrunds nicht viel miteinander. Sonst wäre ihnen schon was eingefallen - stattdessen formte der junge Mann mit seinem Kaugummi eine hellrosa Blase nach der anderen, die seine Freundin mit kindlicher Freude kichernd zerdrückte. Er starrte dabei geradeaus und formte gedankenverlorenen die nächste Blase. Kicher. Plopp. Blase geplatzt, Kaugummifetzen am Mund, kurz Kauen, neue Blase, kicher, Plopp.
Wer weiß, vielleicht kennen sie sich noch nicht so lange oder machen nächste Woche Schluss.
Definitiv zu lange kannte sich das Pärchen, das mir vor ein paar Monaten begegnet ist. Sie trugen beide die gleiche dunkelblaue Outdoor-Jacke. Partnerlook ist immer ein schlechtes Zeichen. Bestimmt kamen sie von einem Tagesausflug nach München und waren unterwegs zum Park-and-Ride-Parkplatz, um gleich zurück nach Pfaffenhofen oder Manching zu fahren. Sie saßen nebeneinander, das ist auch immer ein schlechtes Zeichen. Kommunikative Paare sitzen sich gegenüber. Sie hielten sich an der Hand, sie starrten geradeaus auf die Trennscheibe hinter den Sitzen und schwiegen. Sie waren so langweilig, dass ich mir gewünscht hätte, er würde eine Kaugummiblase formen und sie mit einem übermütigen Kichern in sein Gesicht greifen und die Blase zerstören.
So viel dazu: Der Mann mit dem ich lebe und ich, wir sitzen uns in der U-Bahn gegenüber. Und als wir letztens nebeneinander saßen, haben wir Musik gehört. Er mit dem einen Stöpsel des MP3-Players, ich mit dem anderen. Das war fast schon romantisch. Und wenn's romantisch wird, muss man nicht reden.