Freitag, August 11, 2006

Lass mich

Gestern eine Kollegin getroffen. Wir stehen in der U2 Richtung Feldmoching, am Hauptbahnhof ist eine große Gruppe Behördenvertreter eingestiegen. Die Kollegin und ich, wir merken sofort, dass das Behördenvertreter sind. Sie tragen blaue Leinensakkos mit Hirschhornknöpfen oder Lederjacken zu Weste und Kravatte. Sie sehen aus wie der 70er Jahre-Mief, der in ihren Amtsstuben hängt. Die älteren haben keine Hälse mehr und die jungen strubbelige Frisuren.
Die Kollegin ist noch nicht lange im Geschäft, aber sie ist es. Sie hört zu, sie kann nicht anders. Je mehr sich die Behördenvertreter über den richtigen Umgang mit Protokollnotizen ereifern, desto größer werden ihre Augen. Die Ungläubigkeit springt ihr fast aus dem Gesicht, ist drauf und dran, einen Hirschhornknopf zu entern. Protokollnotizen! Ablage! Vorgehensweise! Wir sehen die Resopalschreibtische vor uns, die Zimmerpflanzen, die nicht in Erde stecken, sondern in diesen komischen braunen wasserspeichernden Steinchen, wir sehen die verstaubten Leitzordner und die grauen Telefone.
Ich kapiere nicht, um was es bei den Protokollnotizen geht, nur, dass man das jetzt erstmal drei Jahre oder so prüfen muss, dann sieht man auch, ob das funktioniert. Aha. Ich wende mich dem Gespräch zweier anderer Behördenvertreter zu und überlasse der Kollegin bereitwillig die Protokollnotizen. Die anderen Behördenvertreter, eine Mann und eine Frau, haben Töchter im gleichen Alter und betreiben Erfahrungsaustausch. Die Töchter pubertieren beide, sie helfen zwar gerne und gut im Haushalt mit (die eine schneidet die Tomaten sogar akkurater als die Mutter), aber sie sind schlecht in Mathe, haben Konzentrationsschwierigkeiten und üben nur so viel Klarinette, bis das Stück "98-prozentig" sitzt. 100 Prozent schaffen sie nicht, dazu haben sie keinen Bock. Und neuerdings, so der Mann, trage seine Tochter ein T-Shirt auf dem zu lesen sei: "Lass mich." Wenn sie eine Protokollnotiz wäre, da bin ich mir sicher, würde sie das gleiche tun.