Mittwoch, Mai 31, 2006

Der englische Torwart

Nimmt man es genau, ist Torwart kein toller Job. Entweder viel rumstehen - das ist gut, denn die Tore kriegt der Gegner - oder viel zu tun haben - das ist schlecht, denn das heißt, die anderen spielen besser - oder, noch schlimmer, viel zu tun haben und seine Sache schlecht machen, also "Dinger rein lassen" und schon motzt die Bild-Zeitung. Derlei potenziert sich beim Torwart der deutschen Nationalmannschaft, mal ganz abgesehen von der Diskussion, wer dieser Torwart nun eigentlich sein soll. Wie der Job nun so ist, kann vielleicht Jens Lehmann bei Gelegenheit mal beantworten, denn um ihn geht es hier.
Gestern hat die deutsche Nationalmannschaft gegen Japan gespielt und wie ich mir von B5 heute morgen sagen lassen musste, waren sie schlecht. Zwei junge Männer in der U3 Richtung Olympiazentrum bestätigten das.
Junger Mann 1: Ich sag dir, der Kahn hätt noch mehr reingelassen.
Junger Mann 2: Ja, der Lehmann macht das schon gut, der geht wenigstens raus, der hängt sich schon mehr rein.
Junger Mann 1: Versteh ich trotzdem nicht. Ich mein, was interessiert den deutscher Fußball, der spielt ja in England.
Junger Mann 2 (ganz leicht, kaum merkbar, verständnislos): Aber der ist Deutscher.
Junger Mann 1: Hä? Der spielt doch in England.

Dann hat der zweite junge Mann etwas sehr Kluges getan: Er hat das Gespräch einfach abgebrochen, denn just in dem Moment sind beide am Scheidplatz in die U2 gestiegen und er hat sich einfach woanders hingesetzt als sein Freund. Beide haben ein bisschen mit dem Kopf geschüttelt und sich dann ihrer Bild-Zeitung gewidmet.

Fußball verwirrt die Menschen.

Mittwoch, Mai 17, 2006

Einsteigen, Aussteigen

Kinder in der U-Bahn machen die Fahrgäste grundsätzlich froh. Vorausgesetzt, sie schreien nicht - die Kinder. Mit einem Kind an der Hand macht man sich Freunde in der Bahn. Mitfahrer schmunzeln wohlwollend, verzeihen, dass es Platz für zwei beansprucht, obwohl es noch nicht einmal halb so groß ist wie der durchschnittliche Fahrgast, und ganz nette sehen sogar darüber hinweg, dass ein Kinderwagen die Tür blockiert. Wer öfter mit Kind in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist, mag mir vielleicht widersprechen und mehr negative Erfahrungen vorweisen können. Ich habe nur Erfahrungen mit A.
A. ist vor kurzem zwei geworden, lebt in einer Stadt ohne U-Bahn, fährt meistens Auto (was sie auf längeren Strecken irgendwann langweilt) und ist ein recht quirliges Kind. Nicht in der U-Bahn. Die U-Bahn wirkt sedierend auf A., denn A. ist fasziniert. Sie will unbedingt einen eigenen Platz und hält sich dann ehrfürchtig an der Lehne fest. Sie schaut gebannt aus dem Fenster und bewundert, dass es eigentlich nichts zu sehen gibt. Sie findet die Dunkelheit spannend, die Schnelligkeit der Bahn und wie die Türen sich an den Haltestellen automatisch öffnen und schließen. A. ist verliebt in die Stimme des Fahrers, der die Haltestellen ansagt und "Bitte zurück bleiben" und bei jedem Stop wiederholt sie versonnen ihr Mantra "Alle Einsteigen". Nur ab und zu variiert sie es zu "Alle Aussteigen". A. möchte diese "Eisenbahn" nie wieder verlassen und wir, ihre Mitfahrer, hoffen sehr, dass wir sie nach 30 Minuten Fahrt an der Haltestelle Thalkirchen dazu bewegen können, auszusteigen. Ob sie danach noch Lust auf den Zoo hat?

Nun, es hat ihr schon im Zoo gefallen, aber schon bald nach den Streicheltieren ist sie eingeschlafen. Die Bahn hatte zu viel von ihrer Aufmerksamkeit beansprucht. Auf der Rückfahrt war sie natürlich wieder hellwach. Und beleidigt, weil sie keinen eigenen Platz hatte. Aus Protest wollte sie die U-Bahn an der Münchner Freiheit verlassen. Wir konnten sie gerade noch aufhalten. Dann ist sie wieder vor Erschöpfung eingeschlafen. Und jetzt alle aussteigen.

Montag, Mai 15, 2006

Einkommensteuererklärung

Mit Englisch kommt man in der U-Bahn nicht weit. Statt darauf zu hoffen, bald viel Geld zu verdienen, sollte ich lieber ein paar Sprachkurse machen, um für die Untergrundgespräche mehr Stoff an Land zu ziehen. Fremdsprachen bringen einen weiter in öffentlichen Verkehrsmitteln, denn nicht alle Fahrgäste reden Deutsch und fast niemand spricht Englisch - und schon ist mein Sprachschatz erschöpft. Hätte ich noch Türkisch, Russisch, Bulgarisch oder Mandarin drauf, ginge es in diesem Blog vielleicht auch etwas schillernder zu, wer weiß.
Andererseits ist es aber auch schön, Menschen einfach zu zu hören, nichts zu verstehen und sich vorzustellen, über was sie sich unterhalten. Aber da verfällt man leicht dem Klischee. Die beiden Russen letztens in der U 3 zum Beispiel. Zwei Männer um die vierzig, gedrungener Körperbau, Lederjacken, Boxernasen. Mein erster Gedanke: Es geht um Geldwäsche, Briefkastenfirmen, Schutzgeld. Mein zweiter Gedanke: Mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit sprechen sie über Ludmilas fünf in Mathe und die Tatsache, dass Sergej keine Lehrstelle findet.
Türkische Mitfahrer machen es einem da einfacher, denn als einzige streuen sie immer wieder deutsche Wörter ein. Da plappert zum Beispiel eine Gruppe stark geschminkter junger Frauen und es geht eindeutig ums Shoppen, denn ich verstehe immerhin "Kaufhof", "Zara" und "C&A".
Oder die beiden jungen Männer um die dreißig, angeregt, ernsthaft ins Gespräch vertieft. Kein Wunder, es geht um ein ernstes Thema, nämlich die "Einkommensteuererklärung". Aber Moment mal - gibt es dafür etwa im Türkischen kein Wort? Kann ich mir kaum vorstellen, ist doch das Türkische eine Sprache, die jedes Fremdwort schluckt oder zumindest mit einem Umlaut versieht. Mein Lieblingswort: Flört. Aber das nur am Rande, wo ist die Entsprechung für "Einkommensteuererklärung"? Kann hier jemand Türkisch?

Freitag, Mai 12, 2006

Menschen und ihre Musik

In München gibt es keine Straßenmusiker in den U-Bahnhöfen oder in der Bahn. Dafür passiert sowas wie gestern. Haltestelle Odeonsplatz, ich warte auf die U 4 Richtung Arabellapark. Ein Mann um die 30 schleicht unruhig den Bahnsteig rauf und runter. Irgendwann hält er inne, stellt seinen Ghettoblaster auf den Boden und drückt auf "play". Sofort verändert sich die Atmosphäre im Bahnhof - aus dem Gerät kommt südamerikanische Gitarrenmusik, ein bisschen melancholisch, ein bisschen lustig, sie passt zu den Frauen in kurzen Röcken und Sandalen, die in die U-Bahn steigen.
Aber natürlich ist es das Schauspiel eines Exzentrikers, dem wir da zuschauen, oder das wir zu ignorieren versuchen. Er starrt gebannt auf den "Sendung mit der Maus"-Comic auf der Infoscreen, er geht sogar auf die Knie, rutscht gefährlich nahe an den Bahnsteigrand, nur um sich die Maus und den blauen Elefanten ganz genau anzusehen, er gestikuliert, er murmelt, er lacht - und dann wechselt das Bild, eine Nachricht mit dem Foto von Angela Merkel wird eingeblendet und der Mann mit der Musik wird wütend. Er steht auf, er schimpft auf Frau Merkel "die hab ich noch nie leiden können", er packt seinen Ghettoblaster, die Musik verstummt und er steigt in die U-Bahn.
Eigentlich sind sie ganz besonders, diese Exzentriker, die uns an ihrer Musik teilhaben lassen wollen. Nicht so wie die Menschen mit den Ohrstöpseln, die ihren MP3-Player nur zu laut eingestellt haben. Irgendwas wollen sie teilen oder mitteilen, die Exzentriker. Was mir der Blockflötenspieler in der U2 vergangene Woche sagen wollte, weiß ich nicht. Er stieg am Scheidplatz ein, spielte bis zum Josephsplatz kümmerliche, verzerrte Versionen von "Zum Geburtstag viel Glück" und "Ein Prosit der Gemütlichkeit" und stieg wieder aus. Kein Obdachloser oder Zigeuner, wie ich zuerst dachte. Nein, ein ganz normaler mittelalter, mittelschöner Mann, der nach zwei Stationen die Flöte in der Tasche verschwinden ließ und verschwand.