Dienstag, April 25, 2006

Dumm gelaufen

Vielleicht bin ich ein bisschen abnormal veranlagt, aber ich werde gerne kontrolliert. Da ich selten Auto fahre und deshalb in neun Jahren nur einmal meinen Führerschein vorzeigen durfte, finde ich es klasse, wenn in der Bahn jemand mein Ticket sehen will. Das ist keine seltsame Leidenschaft von mir, schließlich habe ich ja für viel Geld (derzeit 51 Euro) meine Monatskarte gekauft, also möchte ich sie auch jemandem unter die Nase halten.
Trotzdem erschrecke ich jedes Mal, wenn ein Kontrolleur die U-Bahn betritt. "Die Fahrkarten bitte" löst bei allem Eifer bei mir immer noch schweißnasse Hände und Herzklopfen aus. Angeblich sind die Deutschen ja traditionsbedingt ein sehr obrigkeitsliebendes Volk. Sollte das stimmen, bin ich sehr deutsch, Zittern vor der Obrigkeit inklusive, auch wenn es nur ein Fahrkartenkontrolleur ist, den der zugegebenermaßen nicht sehr sympathiefördernde Job bei der MVV vor Hartz IV rettet.
Die Kontrolleure in der S-Bahn fördern meine Obrigkeitshörigkeit, denn sie tragen Uniform, rote Barette und schwarze Gürtel um die Hüften, in denen man, schaut man nicht richtig hin, Waffen vermuten könnte. Einem solchen Kontrolleur wollte ich gestern meine Monatskarte entgegenstrecken, aber es kam nicht dazu.
Natürlich war wieder jemand schwarz gefahren. Natürlich halfen alle Ausflüchte nichts. Natürlich musste er mir seine Situation noch einmal ausführlich erklären, weil ich zufällig auch am Marienplatz ausstieg.
Nehme arglos die Treppe Richtung Ausgang, plötzlich sagt die Person neben mir: "Ich bin nämlich von außerhalb, auf Besuch. Und ich hab mir jeden Tag so eine XXL-Karte gekauft (zeigt die XXL-Karten der beiden Vortage, die in der Zellophanhülle seiner Marlboro-Schachtel stecken). Und dann hab ich heute die falsche weggeschmissen."
Klar. Bevor man intellektuelle Energie für so eine Ausrede verschwendet, hat man schneller ein Ticket gekauft.
"Sowas passiert", sage ich, beschleunige meinen Schritt und hoffe, dass der Schwarzfahrer in die andere Richtung muss.

Donnerstag, April 20, 2006

Promisichtung

Wie nett, dachte ich, da wartet ein hübsches junges Mädel auf die S-Bahn zum Flughafen und schwatzt ein bisschen mit den Jungs, die neben ihr sitzen. Schön, wenn sich mehr Menschen einen solchen Flirt trauen würden.
Aber so banal war es natürlich nicht. Ihr riesiger gelber Plastikschalen-Rollkoffer, die Tatsache, dass die Jungs sich mir ihr fotografieren ließen und andere Umstehende unter 30 zu tuscheln begannen, haben sie dann doch verraten. Prominent war sie, zumindest ein bisschen. Die Yvonne aus "Germany's next Top-Model" war's, die mit dem Pony, der ihr immer so ins Gesicht hing, die Zweitplatzierte.
Saß da so, ganz uneingebildet und freute sich wie bolle, dass man sie erkannte.

Die Umstehenden teilten sich sehr schnell in zwei Kategorien:
1. Mutigere, wie die Jungs, die entweder schon neben ihr saßen oder sich ganz schnell zur ihr hinsetzten, sieht man ja nicht alle Tage live, eine Frau aus dem Fernsehen. "Bist du nicht...?" "Können wir ein Foto machen?"
2. Die Tuschler, wie das Pärchen neben mir. Sie: "Ist das die...?" Er: "Ja, die mit Heidi Klum..." Sie: "Schon, oder?" Er: "Hab's mir ja gleich gedacht." Um dieses Klischee nicht auszulassen, mutmaße ich jetzt, dass er gerne in Kategorie eins gewechselt wäre, aber die Gegenwart der Freundin hinderte ihn daran.

Es gibt natürlich auch noch die dritte Kategorie, Menschen wie mich, die den kleinen Promitrubel schmunzelnd beobachten und sich freuen, jemanden erkannt zu haben. Dann kommt die S-Bahn, ich sehe mein Spiegelbild in den Fenstern vorbei fahren und wegen des Mädchens auf der Bank fühle ich mich plötzlich ganz schön gewöhnlich.

Dienstag, April 18, 2006

Alle mal hinschauen

Eine U-Bahnfahrt verleitet zum Glotzen. Vor allem, wenn Menschen sich unterhalten. Einem Gespräch kann man am besten folgen, wenn man die Leute dabei anschaut, das macht es schwierig, wenn sie nicht merken sollen, dass man mithört. Redet keiner und gibt es nichts zu Lesen, gibt es trotzdem immer was zu Glotzen, denn seltsame Menschen steigen fast an jeder Haltestelle zu. Der Großteil dieser Menschen möchte nicht angestarrt werden, mag der Hut noch so bizarr sein und das Make-Up so clownesk.
Aber es gibt ja auch die kleine Gruppe der Egozentriker. Die Pseudo-Intellektuellen, zum Beispiel, die in der Bahn Tagebuch führen, Bestseller-Romane schreiben und spannende Drehbücher entwerfen. Sie werfen theatralische Blicke nach oben gen Werbetafel - vielleicht kommt ja von da die geniale Eingebung -, seufzen gut hörbar und kauen hektisch auf Kugelschreibern und Bleistiften. Guckt endlich einer? Reagiert einer auf das Seufzen? Vielleicht jetzt den Stift intellektuell-umnachtet zu Boden fallen lassen? Hebt ihn dann jemand auf und fragt? Fragt endlich: "Was schreiben Sie denn da?"
Fragt nie einer. Vielleicht betagte Damen, die dann Endlos-Monologe über ihre leider zu früh beendete Dichterinnenkarriere halten. Das will der Pseudo-Intellektuelle natürlich auch nicht hören.
Aber es gibt noch Entrücktere. Die Musikhörer. Nicht die pubertären Checker, die so laut Jeanette Biedermann hören, dass schon alle mitsingen können. Die wollen auch Aufmerksamkeit, aber noch mehr Aufmerksamkeit will der intellektuelle Musikhörer. Denn er hört die richtige Musik, irgendwas Abgefahrenes, Independent-Punk aus Hintertupfing, in New York schon ganz angesagt, aber in München/Hamburg/Köln nur hier auf diesem MP3-Player! Der Musikhörer trägt einen auffälligen, sehr teuren Kopfhörer, dessen riesige Muscheln ihm etwas Drohnenhaftes verleihen und die zumindest in den kalten Monaten bestimmt sehr praktisch sind. Einen beispielhaften Vertreter dieser Sorte Mensch habe ich vor einigen Monaten in Hamburg, U-Bahnhof Hallerstraße, getroffen. Es entwickelte sich ein ebenso bespielhafter Dialog mit einem anderen Fahrgast.

Musikhörer (ganz trendy angezogen, die riesigen Muscheln auf den Ohren und ein Fahrrad vor sich herschiebend) kommt auf den Bahnsteig, wackelt mit Kopf und Körper in einem undefinierbarem Takt und singt vor sich hin.
anderer Fahrgast (grinst, irgendwie angetan): Mensch, du singst ja laut mit.
Musikhörer (hält inne, schiebt sich eine Muschel vom Ohr): Was?
anderer Fahrgast: Du singst laut mit.
Musikhörer: Ach, hab ich gar nicht gemerkt. War so versunken, weißt du. Willste mal hören?

Sein Ziel hat der Musikhörer binnen Sekunden erreicht. Er hat ein wenig exzentrisch mit dem Kopf gewackelt, sich nicht entblödet zu Kopfhörermusik vor sich hin zu singen, wurde positiv bemerkt und kann jetzt in Sachen Musik missionieren. Aber der in New York ganz angesagten hier noch total unbekannten Band aus Hintertupfing hat es bestimmt nicht geschadet.

Dienstag, April 11, 2006

Hertie und das Rentnerticket

Vormittags ist die U-Bahn voller Best-Agers. Nein, das ist der falsche Ausdruck, die Generation der Best-Agers kommt erst noch oder befindet sich vielleicht gerade im Vorruhestand oder beim Golfspielen - in der U-Bahn, Donnerstagvormittag um zehn sitzen sie nicht. Da sitzen die Rentner. Eine Personengruppe, die es bald nicht mehr geben wird, abgelöst von besseren Alten, schon etwas länger Jungen und der Generation 50plus. Mir gegenüber sitzen nun drei Rentner, ein Ehepaar (der Mann schweigt) und eine andere ältere Frau. Mir fallen zwei Dinge auf. Erstens: Die meisten Rentner machen sich schick, wenn sie in die Stadt fahren, man könnte es fast schon "heraus geputzt" nennen. Und die Frauen sind mit Goldschmuck behangen. An jedem Finger ein klotziger Ring, vier bis fünf Ketten und ein Halstuch und fünf Kilo Reifen an jedem Arm. Zweitens: Wenn, dann reden nur die Frauen und sie reden nur Belangloses. Und sie reden aneinander vorbei.
Frau1 (mit Mann, schweigend): Den ganzen sechsten Stock ham's jetzt g'räumt bei uns.
Frau2 (ohne Mann, warum, klärt sich gleich): Jetzt wollt ich eigentlich erst zum Hertie, aber jetzt hab ich das Muster vergessen, ich wollt mir doch zu dem Rock eine Bluse kaufen, aber jetzt geh ich vielleicht doch erst zu C&A.
Frau1: Den ganzen Tag hat's gedauert, mit'm LKW waren's da.
Frau2: Wir teilen uns ja die Rentnerkarte, mein Mann und ich. Zehn Monate zahlen, zwölf Monate fahren. Muss halt immer einer daheim bleiben.

Vielleicht hat der schweigende Mann jetzt an den Mann zu Hause gedacht. Und dass es sich vielleicht besser schweigt, allein daheim, als mit der Gattin in der U2 Richtung Messestadt Ost.